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4. Mai 2016

Reaktionen auf den Baumschnitt: Wundheilung beim Baum

Obstbaumschnitt

Sommerschnitt, Winterschnitt, Obstbaumschnitt: Aus Sicht von Bäumen und Gehölzen ist der beste Schnitt eigentlich gar kein Schnitt. Zuzuschneiden bedeutet immer, in die Natur einzugreifen und ist immer mit einem Risiko verbunden. Wie eine Operation beim Menschen: Eine Blinddarmoperation schwächt Sie, es besteht die Gefahr, dass Bakterien in die Wunde eindringen oder Sie eine Blutvergiftung bekommen. Trotzdem gibt es eben Fälle, in denen man dieses Risiko in Kauf nehmen will und muss – dann ist fachgerechter Baumschnitt ein Muss.

Ein guter Baumpfleger weiß deshalb – wie Arzt und Krankenschwester beim Menschen – um die Reaktionen eines Baumes auf Schnittmaßnahmen. Er kennt die komplexen Vorgänge, die er durch das absichtliche Zufügen einer Wunde auslöst. Dadurch kann er die Rahmenbedingungen des Schnitts gezielt so gestalten, dass der Baum so gut wie möglich heilen kann.

Abschottung von Wunden

Wenn ein Baum verletzt wird – wenn zum Beispiel Äste abknicken – stirbt der Bereich um die Wunde herum ab und wird dunkelbraun oder schwarz. Um Fäulnis abzuwehren bzw. zu bekämpfen, reagiert der Baum umgehend mit einem Prozess, den wir „Abschottung“ nennen: Diese Reaktion läuft in tieferliegenden Schichten des Baumes ab, das als Splintholz bezeichnet wird. Die darin vorkommenden Parenchymzellen bilden eine Art Wand oder einen Wall, der Bakterien, Pilze und andere schädliche Substanzen nicht durchlässt – das gesunde Holz also abschottet. Gleichzeitig produziert der Baum antibakterielle Stoffe, wie zum Beispiel Gerbsäure.

Je tiefer man in das Kernholz des Baumes eindringt, desto weniger lebende Parenchymzellen findet man dort vor. Je tiefer die Verletzung eines Baumes, umso schlechter kann er sich also selbst heilen. Die besagten Zellen sind außerdem während der Vegetationszeit effektiver bei der Wundheilung. Professionelle Baumpfleger wissen das und berücksichtigen diese Besonderheit der Bäume.

Übrigens: Es gibt gute und schlechte Abschotter unter den Bäumen. Zu den Abschottungs-Meistern gehören zum Beispiel die zähe Eiche, die Hainbuche, der Walnuss-Baum oder der Ahorn. Diese Baumarten können auch mit 10 cm tiefen Wunden gut umgehen. Besonders schlechte Abschotter wie Esche, Borke, Weide, Rosskastanie oder diverse Obstbäume kommen mit Schnittwunden bis max. 5 cm gut zurecht.

Bildung von Kallus bei verletzten Bäumen

Doch der Baum schottet seine Wunden während des Heilungsprozesses nicht nur innerlich ab: Äußerlich überwallt er sie. Dazu bildet er neues Wundgewebe, sogenannten Kallus. Dieser lagert sich an dem Totholz um die Wunde herum ab und verschließt sie. So entsteht noch ein zusätzlicher Schutz vor eindringenden Keimen.

Der Prozess dieses Wundverschlusses startet mit einer typischen Wulstbildung am Wundrand. Von dort wächst das neue Gewebe in die Verletzung hinein. Je nach Schwere der Verletzung und Baumart kann der Vorgang bis zu einigen Jahren dauern – oder er wird nie abgeschlossen, wenn die verletzte Stelle zu groß ist.

Folgen von falschem Schnitt

Wie schnell sich ein Baum von Verletzungen durch Schnittmaßnahmen erholt, hängt also maßgeblich von der Fähigkeit zur Abschottung und Kallusbildung ab. Typische Fehler beim Schnitt, wie

  • zu tiefes Schneiden
  • zu umfangreiche Schnittmaßnahmen
  • falscher Schnittzeitpunkt
  • ungeeignetes Werkzeug
  • ungeübte Schnitttechnik

beeinträchtigen diese Fähigkeiten des Baumes. Die Folge ist eine sehr schlechte Wundheilung. Bakterien, Pilzsporen und Schädlinge besiedeln den Baum und führen dazu, dass dieser schwächer wird und sogar sterben kann.

Geübte Baumpfleger können die Selbstheilungskräfte von Bäumen und Gehölzen bei der Landschaftspflege einschätzen und

  • halten Wunden klein
  • schneiden den Baum nicht während der Vegetationsruhe
  • unterlassen unnötiges Zuschneiden.

Dadurch verhindern sie Pilzbefall und massive Folgeschäden am Baum.

Wundschutzmittel begünstigen Pilzwachstum

Auf Schnittwunden von Bäumen Baumwachs, Wundbalsam oder andere Mittel zu verstreichen, ist nicht professionell. Die Wundverschlüsse bekommen durch Witterungseinflüsse Risse, durch die Bakterien ins Holz gelangen; darunter ist es schön feucht und warm: Wundverschlussmittel schaffen also oft ideale Wachstumsbedingungen für Pilze, die sich freudig vermehren. Das Gegenteil von dem, was diese Mittelchen erreichen sollen.

Lediglich in ganz seltenen Ausnahmefällen wenden wir Wundverschlussmittel an. Dann verstreichen wir dieses aber auch nur am äußeren Ring am Übergang von der Borke zum Holz. So lässt sich das gesunde Baumgewebe, das sogenannte Kambium, vor Austrocknung schützen. Generell glauben wir, dass der Baum stark genug ist, um seine Wunden selbst zu verschließen. Pflaster und Wund- und Heilsalbe sind für Menschen reserviert.

Bild 1: © schulzie – Fotolia.com
Bild 2: © hiphoto39 – Fotolia.com